Menschen gehen permanent Sozialbeziehungen ein und stecken deshalb viel Zeit, Energie und Arbeit in die Befriedigung von Bedürfnissen anderer. Betrachtet man das ganze biologisch, ist das nicht weiter verwunderlich. Für den Urzeitmenschen war der Ausschluss aus der sozialen Gruppe potentiell lebensbedrohlich. Auch heute noch sind wir soziale Wesen und sozialer Ausschluss löst in uns fast körperliche Schmerzen aus.
Im Prinzip ist die soziale Ausprägung und das Bedürfnis nach Bindung zu anderen Menschen etwas sehr Schönes. Was ich jedoch leider oft erlebe, ist, dass Menschen die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen stellen oder sehr hart mit sich umgehen. Häufige Gedanken sind beispielsweise, dass ich ohne den anderen nicht glücklich sein kann oder dass ich nur erfüllt bin, wenn ich die Liebe oder Zuneigung einer anderen Person gewonnen habe. Der Beziehung zu sich selbst wird dabei häufig nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt oder diese wird eher unreflektiert gelebt. Der Selbstumgang ist dabei von verschiedenen internalisierten Selbstannahmen (Sätze, die wir möglicherweise von anderen in unserer Kindheit gehört haben) oder Glaubenssätzen, die wir über uns haben, geprägt. Diese können mal mehr oder weniger hilfreich für uns sein.
Gedankenexperiment
Jetzt möchte ich jedoch zu einem kleinen Gedankenspiel am Beispiel Partnerschaft einladen. Insbesondere hier fällt vielen Menschen die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und Grenzen schwer.
Nehmen wir an ich habe den passenden Partner mit 25 Jahren gefunden und wir bleiben ein Leben lang zusammen. Der Partner ist fünf Jahre älter als ich und hat vielleicht eine um sieben Jahre kürzere Lebenserwartung (sprich er stirbt zwölf Jahre vor mir). Wenn ich jetzt also das 80. Lebensjahr erreiche, ist der Partner verstorben, als ich 68 Jahre alt war. Das heißt, wir waren 43 Jahre zusammen. Dann habe ich also schon mal 37 Jahre ohne den Partner verbracht. Jetzt gehen wir davon aus, dass wir in den 43 Jahren durchgehend zusammen waren. Dann schlafe ich durchschnittlich sechs bis acht Stunden pro Nacht und ich und/oder mein Partner gehen acht bis zehn Stunden am Tag einer Beschäftigung nach. Meine Freizeit verbringe ich vielleicht nicht ausschließlich mit dem Partner, so dass man auf drei bis vier Stunden Austausch am Tag kommt, am Wochenende und im Urlaub auf etwas mehr.
Also selbst in einer gut funktionierenden, über Jahrzehnte bestehenden Partnerschaft verbringe ich den Großteil meines Tages und fast die Hälfte meines Lebens ohne den anderen. Selbst wenn man dann noch Freunde und Familie hinzunimmt, ändert sich das Bild nicht maßgeblich. Auch mit diesen verbringt man nur einen Teil der Wachzeit. Zudem können Bezugspersonen über die verschiedenen Lebensphasen wechseln.
Die Beziehung zu dir ist zentral
Was ist dann allerdings die gemeinsame Konstante in deinem Leben? Die Antwort ist ganz einfach: Du selbst. Mit dir selbst verbringst du 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Du nimmst dich in jede Situation vom Zähneputzen bis zur Präsentation an der Arbeit mit. Zudem ist es keine passive Beziehung. Menschen stehen in permanenten inneren Dialogen und Austausch mit sich selbst und besprechen nur einen Teil davon mit ihrer Umwelt.
Deswegen finde ich es häufig erstaunlich, dass der Beziehung zu anderen Menschen eine höhere Bedeutung beigemessen wird, als der Beziehung zu sich selbst. Schließlich verbringst du dein komplettes Leben mit dir und bist immer mit dir zusammen. Natürlich ist auch der Umgang mit dir selbst und wie es dir geht ein entscheidender Punkt dabei, was du anderen geben kannst und wie du mit ihnen umgehst. Denn die permanenten inneren Dialoge beeinflussen dein Wohlbefinden. Im Prinzip solltest du selbst dein bester Freund sein, dann hättest du immer jemanden dabei, der dir gut zuredet. Wohingegen andere Menschen nur manchmal so handeln, wie du dir das wünscht. Vielen Menschen ist nicht bewusst, was sie am Tag so alles, beispielsweise auch negatives, zu sich selbst sagen. Würden sie so mit einem Freund sprechen, hätten sie diesen wahrscheinlich nicht sehr lange.
Fazit
Die Beziehung zu dir selbst, was deine Annahmen und Glaubenssätze sind, beeinflussen dein Wohlbefinden sehr stark. Du bist der Mensch, der immer mit dir zusammen ist und dich beeinflusst. Solltest du merken, dass du zu sehr in Beziehungen mit anderen verwickelt bist, kann es helfen, sich diese Erkenntnis noch einmal vor Augen zu führen. Manchmal erzielt man nachhaltigeren Erfolg, indem man nicht um die Zuneigung des anderen kämpft, sondern den Umgang mit sich selbst verbessert. Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben.
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